15.09.2024, Von Stephan Schwab
Eigene Softwareentwicklung ist komplex und teuer. Selbst wenn man Mitarbeiter mit relativ geringen Gehältern dafür nutzen kann, sind die Gesamtkosten immer noch sehr hoch. Ein kleines Team aus lediglich 5 Personen mit eher geringen Gehaltsansprüchen kostet z. B. 400.000 € für ein Jahr.
Hat man nun steigende Anforderungen und möchte daher das Team vergrößern, wird man vermutlich über Agenturen oder freiberufliche IT-Spezialisten nach Verstärkung suchen. Diese erwarten am unteren Rand einen Stundensatz von z. B. 90 €. Dazu kommt meist noch die Provision des Vermittlers, und man landet bei etwa 110 € pro abgerechneter Arbeitsstunde. Nutzt man diese Ressourcen über ein ganzes Jahr, erhöhen sich die Kosten um ca. 200.000 € oder mehr – je nachdem, wie umfangreich der Einsatz ist.
Wir haben also 400.000 € Fixkosten für das eigene Team, und der externe Spezialist erhöht diese um 200.000 €. Steigt der Bedarf nach weiteren Mitarbeitern, können die Kosten schnell außer Kontrolle geraten und zu einem ernsten Problem werden.
Erschwerend kommt hinzu, dass der typische IT-Freiberufler den Anspruch hat, eine klar definierte Arbeit zu erledigen und darüber hinaus nicht tätig sein wird. Wenn man den üblichen Agenturen ein Gesuch für einen “Backend-Entwickler, Java, Oracle, Hibernate”-Spezialisten schickt, wird man jemanden bekommen, der genau diese Kombination über viele Jahre genutzt hat und höchstwahrscheinlich keine Kenntnisse oder Interessen darüber hinaus besitzt.
Softwareentwicklung kann sehr preisgünstig sein. Kleine Teams aus talentierten und fähigen Mitarbeitern sind in der Lage, ein Produkt eigenständig zu betreiben, und der Deckungsbeitrag pro Mitarbeiter ist beeindruckend groß.
In einer mir bekannten Versicherung ist solch ein kleines Team (um 30 Personen) für alle Aspekte einer Kaskoversicherung verantwortlich. Das Kernteam wird von Spezialisten aus der Versicherungsbranche beraten. Das Versicherungsprodukt selbst wird ausschließlich online über das Internet verkauft. Der gesamte Betrieb in allen Aspekten obliegt dem Team allein.
Diese Effektivität wird durch eine Kombination aus folgenden Faktoren erreicht:
Der US-Unternehmensberater und frühere U-Boot-Kapitän David Marquet erklärt in seinem Buch Turn the Ship Around!, wie er aus einer schlecht funktionierenden Besatzung durch die Kombination dieser Maßnahmen eine der besten Einheiten der US-Marine gemacht hat.
Doch wo und wie beginnt man damit?
Die Rolle des Senior Developer Advocate beschreibt einen erfahrenen Spezialisten in der Softwareentwicklung mit breiter Erfahrung und dem Wunsch, sein Wissen an andere weiterzugeben. Das Profil einer solchen Person wird typischerweise von den üblichen Agenturen aussortiert, weil der Wert der breiten Erfahrung nicht erkannt wird und man jemanden bevorzugt, der 10 Jahre lang dasselbe immer wieder gemacht hat.
In meinem Fall kommt zusätzlich Wissen und Erfahrung im Aufbau und der Leitung von Unternehmen – auch international – hinzu. Das Verständnis unternehmerischer Aspekte ist wichtig, da viele Softwarelösungen nicht als Produkt für den freien Markt entwickelt werden, sondern, wie im Falle der erwähnten Kaskoversicherung, um eine wirtschaftliche Tätigkeit effizient durchführen zu können.
Obwohl ein wichtiger Aspekt eines solchen Engagements die Verbesserung der Fähigkeiten der vorhandenen Mitarbeiter ist, darf nicht vergessen werden, dass es auch darum geht, konkrete und kurzfristige Vorteile für das Unternehmen zu erzielen. Eine frühere Inbetriebnahme werthaltiger Softwarelösungen und weniger Defekte und Nacharbeiten bringen einen klaren wirtschaftlichen Vorteil. Darum geht es primär.
Der Schwerpunkt auf der praktischen Arbeit als Entwickler führt zur Akzeptanz der Person und der vorgeschlagenen Maßnahmen durch die anderen Teammitglieder.
Die oben erwähnte Coaching-Karte ist für alle Teammitglieder ständig sichtbar, und der Senior Developer Advocate sucht aktiv nach den richtigen Zeitpunkten und Gelegenheiten, um Ausbildungsziele und Maßnahmen situativ und im persönlichen Kontakt umzusetzen.
Ziel ist es, das Engagement nach ein paar Wochen reduzierter Präsenz vollständig zu beenden. Bei Bedarf kann es wieder aufgenommen werden.