18.09.2012, Von Stephan Schwab
Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Definitionen und Angebote für Team-Coaching. Für
viele ist der Begriff mit Maßnahmen zur Stärkung des Wir-Gefühls im Team verknüpft. Diese Maßnahmen, bei denen die
Mitarbeiter außerhalb des Arbeitsplatzes gemeinsam eine Herausforderung meistern, machen Sinn. Doch helfen Sie nicht
technische und organisatorische Fähigkeiten im Umfeld der eigenen Arbeit zu entwickeln. Sie bleiben auf der
metaphorischen Ebene und somit quasi "obendrüber".
Das nachfolgend detailliert dargestellte Beispiel beschreibt wie das Starten eines Scrum-Teams über einen Zeitraum von zwölf Wochen aussehen könnte. Es geht um Softwareentwicklung und das Coaching findet direkt am Arbeitsplatz statt. Ein oder zwei Coaches - je nach Größe des Teams - unterstützen das Team beim Erlernen neuer technischer und organisatorischer Fähigkeiten.
Ziel des Coachings ist das Team in die Lage zu versetzen am Ende jeder Iteration, z.B. alle zwei Wochen, funktionsfähige Software in die Hände realer Anwender geben zu können.
Die erste Woche ist von der theoretischen Einführung in agile Entwicklung und Vorbereitungen für die Aufnahme der praktischen Arbeit geprägt. Neben einer Menge Erklärungen und praktischer Hilfe nimmt sich der Coach auch den Bedenken einzelner Mitarbeiter an, da für manche Mitarbeiter agiles Arbeiten im Team durchaus als bedrohlich empfunden werden kann. Wer z.B. bislang in einem Einzelbüro gearbeitet hat, kann Schwierigkeiten durch den scheinbaren Verlust der Privatsphäre in einem weitgehend offenen Teamraum haben. Auch ständige direkte Zusammenarbeit mit den Kollegen kann für manche sich zunächst als unangenehm darstellen. Nicht zuletzt wird auch auf die spezielle Situation von besonders extrovertierten oder introvertierten Personen eingegangen.
Am ersten Tag wenden wir uns den nachfolgend beschriebenen Themen und Aufgaben zu:
Der zweite Tag ist ganz für einen Workshop mit praktischen Übungen reserviert.
Am dritten Tag steigen wir dann in die praktische Arbeit ein.
Der vierte Tag beginnt mit der Koordinierung der Aufgaben des Tages im Stehen und steht ansonsten ganz im Zeichen der Arbeit mit user stories.
Wie die Tage zuvor beginnt auch der fünfte Tag mit einem kurzen Koordinierungsgespräch im Stehen. Während die Teammitglieder als 3-Amigos weiterhin an den ersten user stories arbeiten, erhält nun die Rolle des Product Owner besondere Aufmerksamkeit.
Die zweite Woche steht ganz im Zeichen des Entdeckens neuer Anforderungen und zielgerichteter Entwicklung ohne Rückschritte. Wie es schon in der ersten Woche üblich war, beginnt jeder Tag mit einem kurzen Koordinierungspräch im Stehen. Die Woche endet mit der Vorführung einer neuen Version der Software (getestet und funktionsfähig) und dem Sammeln von Rückmeldungen des Auftraggebers.
In der dritten Woche vertiefen wir unsere Kenntnisse bzgl. der technischen und organisatorischen Fähigkeiten, die wir in den beiden vorangehenden Wochen kennengelernt haben. Das Team beginnt einen Rhythmus einzuhalten. Zusätzlich führen wir die folgende Technik ein, wenn es vom Kenntnisstand und Erfahrungsgrad mit den gegebenen Teammitgliedern bereits möglich ist.
In Abhängigkeit der Erfahrung und Leistungsfähigkeit der Tester und Programmierer im Team führen wir weitere fortgeschrittene Techniken der Softwareentwicklung ein. Darüberhinaus wird der bisherige Rhythmus aus den vorigen Wochen beibehalten.
Zu Beginn der fünften Woche hat das Team bereits zwei Iterationen - bei einer Länge von zwei Wochen - hinter sich. Die erste Iteration war hauptsächlich durch Lernen geprägt, aber die zwei Iteration enthielt bereits eine Menge "echter" Arbeit. Daher können wir nun das Konzept gestriges Wetter zur Planung einführen. Wir ermitteln wieviel bisher geleistet wurde und nutzen diese Information für eine Prognose.
In den folgenden Wochen begleitet der Coach das Team zur Vertiefung der neuen Techniken. Er steht bei Fragen und Schwierigkeiten als Ratgeber, Gesprächspartner und bei Bedarf auch als Trainer zur Verfügung.
Die praktische Hilfe erfolgt in der Regel durch paarweises Arbeiten. Teammitglied und Coach arbeiten gemeinsam an einer Aufgabe. Dabei gibt der Coach nicht die Richtung vor, sondern hilft dem Mitarbeiter, der ja eine Fachkraft ist, durch Fragen oder auch mal Vorschläge selbst die richtige Vorgehensweise oder Lösung zu finden. Sofern erforderlich kann der Coach aber auch kurzfristig in die Rolle eines Trainers wechseln und dem Mitarbeiter zeigen wie er eine Aufgabe lösen würde. Im Falle eines Programmierers wird dann z.B. pair programming benutzt.
Ab der zehnten Woche oder auch schon früher beginnt der Coach loszulassen und das Team darauf vorzubereiten ohne ihn auszukommen. Es mag sinnvoll erscheinen - quasi als Test - für eine Woche nicht beim Team zu sein, um zu sehen wie weit sie sind. Oder der Coach setzt nach der zehnten Woche für eine Iteration aus und kommt für die anschließende Retrospektive wieder.
Generell wird mittels Retrospektiven festgestellt, ob das Team im Sinne des Dreyfus-Modelles zur Wissensaneignung erfolgreich eine höhere Stufe erreicht hat. Wenn das noch nicht der Fall sein sollte, empfiehlt es sich über spezielle Trainingsmaßnahmen nachzudenken. Der Coach kann hier Empfehlungen abgeben.
Hinweis: Ich habe in diesem Artikel hier und da einige englischsprachige Begriffe verwendet. Diese sind in der einschlägigen Literatur gang und gäbe. Wer aber nicht aus dem technischen Bereich kommt, mag diese nicht kennen. Wenn möglich, habe ich auf eigene Hintergrundartikel zur Erklärung verwiesen. Für die Fälle, in denen solch ein Artikel noch nicht verfügbar war, möchte ich auf die Möglichkeit der Web-Recherche via Google, etc. verweisen.
DIES IST EIN BEISPIEL und als solches auf keinen Fall als Fahrplan für konkretes Team-Coaching zu sehen. Welche Vorgehensweise richtig ist, hängt von den existierenden Fähigkeiten des Teams, seinem Umfeld und der Art der zu entwickelten Software ab. Vor Beginn des Team-Coachings sollte immer mittels Retrospektive und SWOT-Analyse der Ist-Zustand geklärt werden.
"Aber das ist nicht Scrum" mag mancher nach dem Lesen dieses Artikels ausrufen. Scrum ist ein sehr einfaches Rahmenmodell, welches durch gewisse Zeremonien dem Team einen Rhythmus geben möchte. In gewisser Weise ist Scrum mit Stützrädern zum Erlernen des Fahrradfahrens vergleichbar. Im Grunde genommen will man möglichst schnell lernen nicht mehr Scrum machen zu müssen. Und da das Einführen eines bestimmten organisatorischen Prozesses ohne Erweiterung der technischen Fähigkeiten kaum nachhaltige Wirkung für das Software-Team haben kann (alter Wein in neuen Schläuchen), kommt in meiner Form des Team-Coachings der technische Bereich nicht zu kurz. Selbstverständlich gehört die "korrekte" Anwendung von Scrum mit dazu, steht aber nicht im Vordergrund.
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